Montag, 24. Januar 2011

Schatten im Paradies

In der Woche vor Weihnachten war es dann soweit, dass alle ihre Examen (in allen Fächern) geschrieben haben. Die Examen sind deswegen so bedeutend, weil sie zu 50% die Endnote für das jeweilige Trimester bestimmen.
So haben wir (Julika und ich) uns auch mit denen gefreut, die eine gute Note bekommen haben (um so mehr bei jenen, die sich selbst im Vergleich zu ihrer Leistung im Unterricht übertroffen haben) und haben uns über die geärgert bzw. waren gleichfalls enttäuscht von denen, denen wir keine gute Note geben konnten, weil sie – in den meisten Fällen – nicht gelernt oder auch im Unterricht nicht richtig aufgepasst haben.

(( Noch einmal zur Erinnerung: Dies sind meine persönlichen Gedanken auf Grund meiner sujektiven Wahrnehmung und müssen nicht zwangsläufig der "Wahrheit" entsprechen.
Anmerkung: Alle Namen wurden von mir geändert.))

"In den meisten Fällen" deswegen, weil es ein paar Kinder an unserer Schule gibt, die eindeutige Lernschwächen aufzeigen und entsprechend gesondert behandelt werden müssten, was aber leider nicht passiert.

Sie werden vielmehr durch den Unterricht geschliffen, wodurch sie immer größere Probleme bekommen und sich weiter verschlechtern. Es tritt der sogenannte "Golem-Effekt" auf, eine abwärtsgerichtete Spirale, auch "Teufelskreis" genannt. (Danke, Jan, für die Erweiterung meines Wortschatzes :D ).

Beispiele hierfür sind: Carlos aus der zweiten, Juan aus der dritten oder Paúl aus der fünften Klasse, die recht starke Konzentrationsstörungen an den Tag legen und oft die gestellten Aufgaben zwar meistens verstehen, jedoch mehrmalige Aufforderung brauchen, bis sie anfangen bzw. die Aufgabe beendet haben. Vor allem Paúl fällt deutlich im Vergleich zu seinen Mitschülern zurück.

Desweiteren hat Clara ebenfalls aus der dritten Klasse enorme Verständnisprobleme, teils wörtlich, da sie auf einem Ohr fast taub ist (und auf dem anderen augenscheinlich auch nicht gut hören kann), wodurch sich wiederum Probleme im Unterricht ergeben.
Mehrmals haben Julika und ich deswegen die Lehrerin angesprochen, die uns dann gesagt hat, dass Clara demnächst ein Hörgerät bekommen soll und es danach besser wird.
Allerdings warten wir nun schon seit ca. zwei Monaten darauf. Effektiv lernt Clara in dieser Zeit, nichts.

Zu guter letzt gibt es an unserer Schule noch drei Brüder, die ihre Mitschüler im Alter weit übertreffen: Gorge ist (wie ich dem Blog meiner Vorgängerin entnehme) zum zweiten Mal in der zweiten Klasse und langweilt sich dort nun, weil er meist etwas unterfordert ist. Andererseits legt aber auch er Konzentrationsschwächen an den Tag und ist mit seinen sieben Jahren nun auch zwei Jahre älter als seine Klassenkameraden.

Esteban ist in der siebten Klasse und zeigt dort ebenfalls Schwächen. Jedoch merkt man auch, dass er sich bemüht und langsam verbessert, was sich auch in seinen Leistungen wiederspiegelt.

Manuel dagegen ist 14 Jahre alt und war am Anfang des Schuljahres in der fünften Klasse. Laut dem Bericht meiner Vorgängerin war er aber im letzten Jahr schon in der Sechsten. Was war passiert?

Nach meiner Einschätzung des Jungen (den ich im übrigen als Person sehr gerne mag), hat er derart große Defizite im Unterricht aufgezeigt, dass er nicht nur sitzen geblieben ist, sondern sogar zurückgestuft wurde.

Mitlerweile jedoch, nimmt er am Unterricht der siebten Klasse teil und ist dort immer noch zwei Jahre älter als seine Mitschüler. Und immer noch passt er nicht richtig auf und strengt sich nicht so sehr an, wie seine Banknachbarn, wobei doch grade ER viel aufzuholen hat.

Im Gegensatz zu seinem Bruder, der in der gleichen Klasse ist, es ihm aber auch egal, was für ein Bild oder welche Leistung er abgibt. Ein Beispiel dafür sei genannt: Am letzten Schultag vor Weihnachten habe ich ihm seine Examensnote genannt. Er hat ganze 7 von 20 Punkten bekommen und hat dies relativ fröhlich-gleichgültig hingenommen.
Dazu sei aber gesagt, dass 13 Punkte etwa einer "4-" entsprechen und selbst 15 bis 17 Punkte als "eher schlecht" angesehen werden (was meiner Meinung nach zwar immer noch "gut" ist, aber das ist ein anderes Thema).
-- Mitlerweile hat er gesagt, dass er sich mehr im Unterricht beteiligen will. Ich bin gespannt, ob er sein Wort haelt. --

Fakt ist, dass alle drei Probleme im Unterricht haben, was nach meiner Einschätzung auch am Elternhaus liegt, da die Eltern ihre Kinder nicht unterstützen.

Ebenfalls negativ ist mir - nach mehreren Aussagen - aufgefallen, dass einige Eltern ihre Kinder schlagen, wenn diese "schlechte" Noten nach Hause bringen. Wie oben erwähnt gelten aber auch schon 15 bis 17 Punkte als "schlecht", wodurch für manche Kinder ein enormer Leistungsdruck entsteht. Ganz abgesehen von den familiären Katastrophen, die so entstehen.


Demgegenüber seien zwei Geschwister erwähnt, die durch besonders gute Leistungen hervorstechen:

Melanie aus der zweiten Klasse hat, gemessen an ihren MitschülerInnen eine sehr schnelle Auffassungsgabe und erledigt die gestellten Aufgaben nicht nur sehr schnell, sondern zumeist auch fehlerfrei.

Ebenso ihr Bruder Ignatio, der ihr in nichts nachsteht und – dies sei erwähnt – im Examen 100% erreicht hat. Er hat weder einen Rechtschreibfehler, noch hat er einen "i-Punkt" oder den Punkt am Satzende vergessen, was in allen Klassen sonst häufig auftritt.

Aber nicht nur ihre Intelligenz, auch die gute Erziehung spricht für sie, da sie im Allgemeinen sehr höflich und ordentlich sind ohne "Streber" zu sein.

Natürlich müssen wir (Julika und ich oder ein/e andere/r LehrerIn) sie auch gelegentlich zur Ordnung rufen, sie sind ja auch noch Kinder. Aber die Sorgen, die wir uns machen gelten anderen Kindern.


Zum Schluss sei noch eine weitere Gegebenheit erwähnt:

Bis vor 4 - 5 Jahren gab es für LehrerInnen keinerlei Einstellungsvoraussetzungen, was bedeutete, dass jeder Erwachsene sich für jedes Fach bewerben konnte.

Zwar haben einige Schulen (insbesondere die höheren Schulformen, wie das "Collegio" (= ähnlich dem amerikanischen "College"), oder solche mit gutem Ruf) selbst darauf geachtet, dass ihre Lehrer ihr Fach beherrschen, jedoch gab und gibt es bisher keine staatliche Qualifikation der Lehrkräfte.

Vor ca. vier Jahren wurde das erste Mal überhaupt ein landesweiter Test aller Lehrkräfte durchgeführt, mit der Intention den Wissens- bzw. Leistungsstand der Lehrer zu erfassen und ggf. zu verbessern.

-- Vor etwa zwei Wochen wurde ein neues Gesetz verabschiedet, welches das Lehrsystem reformieren.

So muessen die Lehrer nun ihren Unterricht blockweise vorbereiten und werden dazu angehalten ihren Unterricht besser auf die Schueler auszurichten, dass diese den Unterrichtsstoff nicht einfach wieder holen, sondern wirklich verstehen.

Auch wenn so die Buerokratie erhoeht wird, glaube ich, dass dies eine gute Chance fuer die Lehrer ist zu lernen ihren Unterricht nachhaltiger, vielfaeltiger und dadurch interessanter zu gestalten.

Wir Freiwillige sind von dieser Neuerung aber nicht betroffen. --


Oftmals haben Julika und ich uns schon gefragt, wie wir mit dem einen oder der anderen SchülerIn verfahren können und sind dabei ratlos geblieben, weil wir eben keine ausgebildeten Lehrkräfte sind.
In so einem Fall können wir uns dann immer an die LehrerInnen in unserem Projekt wenden, die uns auch sofort weiterhelfen. Manchmal jedoch kommen mir Zweifel, ob alle LehrerInnen auch gute Pädagogen sind, z.B. wenn eine Lehrerin einen der oben erwähnten leistungsschwachen Schülern anbrüllt, weil diese/r wieder langsam arbeitet oder einen Arbeitsauftrag nicht richtig verstanden hat.

Dazu sei aber erwähnt, dass es in unserer Schule "disziplinierter" und deswegen auch ab und zu strenger und/oder lauter zu geht, als in einer vergleichbaren, deutschen Schule.

Und wir wollen nicht vergessen, dass es auch in Deutschland viele ungeeignete Lehrkräfte gibt.

Ebenso gibt es in Ecuador auch sehr gute LehrerInnen.
So ist z.B. die Lehrerin der vierten Klasse unglaublich nett und was den Unterricht und das Klassenleben betrifft sehr einfallsreich und kreativ, aber auch manchmal laut und streng. Trotzdem wird sie von den Kindern sehr geliebt und respektiert.

So gibt es hier, wie auch in Deutschland, sowohl Licht- als auch Schattenseiten.

In diesem Eintrag entsteht der Eindruck, dass die Schattenseiten überwiegen, allerdings kommt hier nicht die Liebe, der Spaß und die Herzlichkeit der Kinder oder diese im Umgang mit ihnen zum Ausdruck. Auch wird nicht berücksichtigt, dass die EcuadorianerInnen meiner Meinung nach das Beste im Rahmen ihrer Möglichkeiten tun.
Ein Rahmen, der diesem Land von aussen aufgedrueckt wurde.

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